Digitale Transformation in kleinen und mittleren Unternehmen

Die Bundesregierung startet ein neues Förderprogramm "Mittelstand 4.0 - Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse"

Von Dr. Franz Büllingen, Leiter Begleitforschung Mittelstand Digital
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Umfragen zeigen, dass die Bedeutung der Digitalisierung bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nahezu flächendeckend verstanden wird und diese in hohem Maße sensibilisiert sind für die Chancen digitaler Prozesse. Dennoch existiert eine beachtliche Umsetzungslücke und die Digitalisierung insbesondere komplexer und durchgängiger elektronischer Geschäftsprozesse mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), wie z. B. der Nutzung von Kollaborationssoftware, stellt die meisten KMU vor große Herausforderungen. Den Betrieben fällt es häufig schwer, adäquate IKT-Kompetenzen und -Infrastrukturen aufzubauen oder vorzuhalten. Mangelndes Know-how und fehlendes Fachpersonal, aber auch hohe Investitionskosten und insbesondere der Mangel an passgenauen, zielgruppenadäquaten Informationen sind hierfür wichtige Ursachen. Vor allem aber fehlen leicht nachahmbare, praxisnahe Vorbilder für mittelstandstaugliche Lösungen. 

Dabei zeichnet sich ab, dass Deutschland längst im Wettlauf um die Märkte und die Produkte von morgen steht. Auch wenn nicht alle Entwicklungen und ihre Dynamik vorhersehbar sind, so ist kaum zu übersehen, dass wir uns bereits mitten im Prozess der digitalen Transformation unserer Wirtschaft befinden. Es geht um eine immer engere horizontale und vertikale Verzahnung von Maschinen, Organisationen und Betrieben zu hochflexiblen Wertschöpfungsnetzwerken. An die Stelle klassischer monoorganisationaler Unternehmungen treten zunehmend interaktive Geschäftsmodelle, bei denen eine Vielzahl unterschiedlicher Zulieferer und Hersteller adhoc oder dauerhaft industrielle Produktionsnetze bilden. Das Besondere hieran ist, dass der Kunde von Anfang an eingebunden wird, von der Produktplanung bis hin zum Service. Der Kunde bestimmt das künftige Marktgeschehen. Gefragt sind individualisierte Produkte, kundenorientiertes Design und oft kleinste Stückzahlen zum Preis von Massenprodukten. Daraus erwachsen große Anforderungen in Bezug auf die Gestaltung der künftigen Produktionsprozesse.

In Marktuntersuchungen wird geschätzt, dass die digitale Transformation alleine für Deutschland bis 2025 zusätzliches Wachstum zwischen 200 und 425 Mrd. Euro auslösen kann. Doch solche Prognosen sind kein Selbstläufer. Sie sind nur realistisch, wenn es gelingt, KMU und Handwerksbetriebe in diesen Entwicklungsprozess mit einzubeziehen. Die Politik hat sich daher entschlossen, den Prozess der digitalen Transformation aktiv zu gestalten und zu begleiten. Die Sensibilisierung und Unterstützung mittelständischer Unternehmen im Hinblick auf alle Themen rund um Mittelstand 4.0 sind dabei ein zentrales Anliegen der künftigen Mittelstandspolitik.

"Mittelstand 4.0 - Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse"

Die Bundesregierung hat dazu Ende Juni 2015 die neue Förderinitiative "Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse" unter dem Dach von Mittelstand-Digital ins Leben gerufen, die jetzt von Bundeswirtschaftsminister Gabriel offiziell gestartet wurde. Hierdurch sollen insbesondere KMU und Handwerksbetriebe unterstützt werden.

BildDer Förderschwerpunkt Mittelstand-Digital stellt sich neu auf © BMWi

Es entstehen insgesamt vier Mittelstand 4.0-Agenturen sowie zunächst fünf Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren, die praxisrelevantes Wissen für den Mittelstand aufbereiten.

Bei der neuen Förderinitiative stehen folgende Aktivitäten im Mittelpunkt der Arbeit:

  • die systematische Dokumentation und Aufbereitung des vorhandenen Wissens rund um die Themen Industrie 4.0, Digitalisierung und Vernetzung. Solche Themen umfassen z. B. Cyber-Physische (Produktions-)Systeme, Embedded Systems, integrierte Daten und Big Data, Cloud-Technologien, additive Fertigungsverfahren, Produktentwicklung und Produktionsengineering, IT-Sicherheit, Produktionssoftware und Usability, Schnittstellen und Standards, Organisation von Arbeitsprozessen und berufliche Weiterbildung. Dabei soll im Rahmen eines intensiven Austauschs mit externen Experten dieses Wissen kontinuierlich validiert, weiterentwickelt und zielgruppengerecht weiterverbreitet werden.
  • eine möglichst umfassende Bestandsaufnahme, Dokumentation und Aufbereitung guter Beispiele für vorbildhafte, mittelstandstaugliche Lösungen, die eine möglichst hohe Anschaulichkeit besitzen und gut nachahmbar sind.
  • die Beobachtung und das Monitoring der Marktentwicklung, um neue Möglichkeiten und Ansätze innovativer Geschäftsmodelle und neuer Geschäftsfelder zu identifizieren und mit Blick auf die Übertragbarkeit für KMU aufzubereiten.
  • der systematische Transfer des in den Zentren versammelten Wissens sowie der Good- und Best-Practice-Beispiele hin zu den Unternehmen durch geeignete Kommunikationsformate und niedrigschwellige Ansprache. Hier ist es von großem Nutzen, wenn die Zentren in ihre Arbeit und die Transfermaßnahmen regionale "Leuchtturm-Unternehmen" einbeziehen, die bereits Mittelstand-4.0-Anwendungen implementiert haben. Wünschenswert ist auch die Entwicklung entsprechender Roadshows, um über die regionale Verbreitung des Wissens hinaus auch bundesweit eine möglichst große Breitenwirkung zu erzielen. Es geht also nicht zuletzt um den Aufbau eines Transfernetzwerks, damit die relevanten Themen rund um Mittelstand 4.0 mit möglichst vielen Akteuren transportiert werden.
  • die allgemeine Sensibilisierung mittelständischer Unternehmen und des Handwerks für die technologischen und wirtschaftlichen Potenziale sowie Unterstützung mit Blick auf die vielfältigen technischen, organisatorischen, arbeitsbezogenen oder rechtlichen Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung und Vernetzung in den Betrieben ergeben. Ein zentraler Aspekt ist hierbei auch die Stärkung der Vernetzungs- und Kollaborationsfähigkeit durch Sicherheit und Vertrauen. Die Erfolgschancen für ein solches Vorgehen können deutlich erhöht werden, wenn die vorhandenen Multiplikatoren wie z. B. die Kammern, die Institutionen der Wirtschaftsförderung, die Verbände, die Mittelstandsvereinigungen und -initiativen, aber auch kommerzielle Beratungsunternehmen oder Dienstleister miteinbezogen werden.
  • die Förderung und der Transfer technologischer, organisatorischer und arbeitsgestaltender Kompetenzen bei Dritten wie z. B. den Hochschulen, Fachhochschulen oder den Berufsbildungszentren. Insgesamt sollen in den Einzugsbereichen der Kompetenzzentren Informations-, Qualifikations- und Unterstützungsangebote entwickelt und umgesetzt werden.

Insgesamt basiert die neue Förderinitiative auf der Überzeugung, dass mit der Gründung der Kompetenzzentren und der Agenturen die besonderen Herausforderungen aufgegriffen werden, die sich insbesondere für KMU und das Handwerk im Zusammenhang mit den künftig immer komplexer werdenden Prozessen der Digitalisierung ergeben. Deutschland hat damit gute Möglichkeiten, sich an die Spitze der digitalen Transformation zu setzen. Wenn es gelingt, dem Mittelstand hierbei zum Erfolg zu verhelfen, kann die derzeitige Wettbewerbsposition der deutschen Industrie nicht nur gefestigt, sondern auch weiter ausgebaut werden.