Industrie 4.0-Szenarien: ein systematischer Blick auf die Zukunft der Industrie

Moderne ProduktionModerne Produktion © Dieter Poschmann / pixelio.de

Wie wird die Digitalisierung Geschäftsmodelle verändern? Welchen Mehrwert hat der Digitale Wandel für die Unternehmen? Mit der Erarbeitung konkreter Anwendungsszenarien zeichnen die Mitgliedsunternehmen der Plattform Industrie 4.0 ein Bild der Zukunft industrieller Produktion. Durch eine anschauliche Darstellung der „Produktion von morgen“ legen sie konkret dar, wie sich die Digitalisierung auf unterschiedliche Wertschöpfungssysteme auswirkt. In Verbindung mit den bereits zu Industrie 4.0 realisierten Anwendungsbeispielen geben die Szenarien ein ganzheitliches Bild der zu erwartenden Entwicklungen.
Im Rahmen einer Serie gibt der Mittelstand-Digital Newsletter jeweils einen kurzen Überblick über eines dieser Szenarien und beleuchtet insbesondere die für den Mittelstand relevanten Aspekte.

Nachdem in der letzten Ausgabe das Szenario Auftragsgesteuerte Produktion den Anfang gemacht hat, soll in dieser Ausgabe das Szenario Wandlungsfähige Fabrik beleuchtet werden. Kern des Szenarios ist der schnelle und unter Umständen auch weitgehend automatisierte Umbau einer Fertigung, sowohl im Hinblick auf geänderte Fertigungskapazitäten als auch auf geänderte Fertigungsfähigkeiten. Zentrales Konzept zur Umsetzung ist ein modularer und somit wandlungsfähiger Aufbau der Produktion innerhalb einer Fabrik. Intelligente und interoperable Module, die sich weitgehend selbstständig an eine veränderte Konfiguration anpassen, und standardisierte Schnittstellen zwischen diesen Modulen ermöglichen so einen einfachen und schnellen Umbau, um geänderte Markt- und Kundenanforderungen zu bedienen. Während im Anwendungsszenario „Auftragsgesteuerte Produktion“ der Schwerpunkt bei der flexiblen Nutzung existierender Fertigungseinrichtungen durch intelligente Vernetzung liegt, beschreibt dieses Szenario die Wandlungsfähigkeit einer einzelnen Fabrik durch Rekonfiguration.

Beim Aufbau einer Produktionslinie übernimmt heute oft ein Systemintegrator die Abstimmung der Einzelkomponenten aufeinander sowie die Entwicklung einer Steuerung der Gesamtanlage. Die einzelnen Teile werden in eine statische Beziehung zueinander gesetzt. Wird die Auftragslage jedoch durch eine hohe Individualität der Produkte oder eine hohe Volatilität der Nachfrage geprägt, können solche Produktionslinien ihre Stärken nicht mehr ausspielen. Modular aufgebaute, auftragsspezifisch wandlungsfähige Fertigungskonfigurationen gewinnen dann an Wert.

Für den Mittelstand eröffnen sich damit als Anbieter solcher Plug&Produce-Lösungen neue Möglichkeiten, einen größeren Anteil der Wertschöpfung zu erhalten. Heute sind sie oft Zulieferer eines Systemintegrators. Wenn aber bereits auf der Ebene der Maschinenlieferanten entsprechend intelligente, selbstkonfigurierende und interoperable Fertigungsmodule entstehen, die sich weitgehend automatisiert zu einem der jeweiligen Auftragslage entsprechenden System zusammenfügen können, wird ein Systemintegrator obsolet.

Neben der erforderlichen Interoperabilität verändern sich auch andere Anforderungen an einzelne Maschinen oder Fertigungsmodule: Wichtiger noch als eine hohe Varianz spezifischer Fertigungsvorgänge wird die prinzipielle und einfache Kombinationsfähigkeit der einzelnen Module. Beim Maschinenbauer erfordert dies eine entsprechende Gestaltung der internen Entwicklungsprozesse: Modulare Maschinen machen ein „modulares“ Engineering, basierend auf Bibliotheken wiederverwendbarer Module („Plattform“-Entwicklung), notwendig. Maschinenarchitekturen müssen so gestaltet werden, dass kombinierbare mechatronische Module einschließlich einer Plug&Produce-Fähigkeit der Fertigungsmodule durch interoperable Schnittstellen und adaptive Automatisierungstechnik entstehen. Konzepte für herstellerübergreifende „Dienste“ wie Archivierung, Alarmierung oder Visualisierung sowie eine aufwandsarme Integration in das Produktionsleitsystem müssen entwickelt werden.

Damit die Interoperabilität solcher Plug&Produce-Module sichergestellt ist, bedarf es entsprechender Standards für die durchgängige Datenkette, für die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Modulen sowie für Syntax und Semantik, über die die Module mit einander kommunizieren.

Um entsprechende Produkte entwickeln und anbieten zu können, fordern insbesondere mittelständische Unternehmen schnell Klarheit darüber, auf welchen Standard sie setzen sollen. Mit dem Ziel, die branchenübergreifende Standardisierung zu beschleunigen und die Standardisierung national und international zu koordinieren, haben daher der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom), das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE), der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sowie der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) das Standardization Council i4.0 ins Leben gerufen.

Für produzierende Mittelständler als Anwender in diesem Szenario stellt das schnelle, aufwandsarme und zuverlässige Umbauen der Fertigung einen wichtigen Mehrwert dar, da so schnell auf sich ändernde Kundenanforderungen reagiert werden kann. Die Auslastung des eigenen Maschinenparks kann durch die vielfältige Einsetzbarkeit gesteigert werden. Auch können auftragsspezifisch kleinere Stückzahlen produziert werden, für die sich konventionell das Umrüsten einer Maschine nicht gelohnt hätte. Die zunehmende Standardisierung und Modularisierung erweitert zudem die Möglichkeiten, Fertigungseinheiten unterschiedlicher Anbieter zu kombinieren und somit für jedes einzelne Modul die wirtschaftlichste Lösung zu realisieren.

Weiterführende Informationen:

Kurzfassungen der Szenarien sind hier veröffentlicht:

Informationen über die Arbeit des Standardization Council i4.0 können hier abgerufen werden.