App-Economy – Katalysator für Mobile Commerce und Mobile Business im Mittelstand

Von Dr. Franz Büllingen, Leiter Begleitforschung Mittelstand-Digital
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Innerhalb weniger Jahre hat sich die Entwicklung von Miniaturprogrammen für smarte mobile Endgeräte (Apps) zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor und zur treibenden Kraft für Mobile Commerce und Mobile Business entwickelt. Durch intuitive Bedienung, flache Lernkurven, abgespeckte Funktionalitäten, kurze Lebenszyklen und überwiegend niedrige Bepreisung haben die Produkte der App-Economy innerhalb weniger Jahre einen völlig neuen Distributionskanal entstehen lassen, der gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) neue Geschäftschancen und Vermarktungsmöglichkeiten eröffnet.

Inzwischen sind über die verschiedenen App-Plattformen (Apple App Store, Google Play Store, Samsung Apps, Sony PlayNow, Microsoft Marketplace, Nokia Store, RIM BlackBerry App World sowie in den USA Amazon Appstore) mehrere Millionen Apps verfügbar, die überwiegend auf private Konsumenten ausgerichtet sind. Allerdings weisen viele dieser Apps z. B. für das mobile Büro, den Einsatz von Mobile Media oder logistische Zwecke Eigenschaften auf, die auch in breitem Umfang für Business-Anwendungen genutzt werden und in vielen Fällen die Grenze zwischen privater und beruflicher Anwendung fließend gemacht haben. Daneben werden immer mehr professionelle Apps z. B. für Ärzte, Spediteure oder Handwerker angeboten, die ausschließlich zu beruflichen Zwecken genutzt werden.

Der Branchenverband BITKOM schätzt, dass 2014 allein in Deutschland rund 3,4 Mrd. Apps heruntergeladen worden sind und diese Zahl mit Blick auf die heute nahezu flächendeckende Verbreitung smarter Endgeräte künftig noch weiter ansteigen wird. Mit den kostenpflichtigen Apps wurden 2014 schließlich weltweit rund 20 Mrd. US-Dollar umgesetzt, ohne die Umsätze, die im Rahmen sogenannter In-App-Käufe getätigt wurden.

Doch nicht nur in Bezug auf den generierten Umsatz sind die wirtschaftlichen Effekte der App-Economy bedeutend, sondern auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Allein in Deutschland wird die Zahl der App-Entwickler auf rund 280.000 geschätzt. Viele von ihnen arbeiten zumeist in Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern: Dominierte noch vor zwei bis drei Jahren der teilzeitarbeitende Freelancer, so sind heute rund zwei Drittel dieser Programmierer fest angestellt und arbeiten in Vollzeit.

Dabei zeigt ein Blick auf die Erlösmodelle, dass der Anteil derjenigen Entwicklerfirmen, die ihre Erlöse „klassisch“ über Downloads, Abo-Modelle oder Werbung erzielen, allmählich zurückgeht, zu Gunsten von denjenigen Firmen, die von der Auftragsentwicklung leben. Waren es zunächst vor allem große Firmen z. B. aus der Automobilindustrie, der Logistik, dem Handel oder der Touristik, die eine App-Entwicklung für ihre bessere Sichtbarkeit und für die mobile Vermarktung ihrer Produkte in Auftrag gaben, so wird heute das Marktwachstum der App-Economy durch die Aufträge kleiner und mittlerer Unternehmen getragen. Mit Hilfe einer eigenen Unternehmens-App können im Rahmen von Mobile Business nicht nur Funktionalitäten z. B. der mobilen Auftragserfassung vor Ort beim Kunden und ihrer Verknüpfung mit dem Backoffice realisiert werden. Vielmehr lässt sich mit ihrer Hilfe ein zusätzlicher Vertriebskanal zum Kunden hin etablieren, indem aus dieser App heraus eine direkte Handelsbeziehung zwischen dem Anbieter und den potenziellen Kunden resp. Verbrauchern realisiert wird (Cross-Channel-Shopping). So gibt es inzwischen das Beispiel der Metzgermeister, die ihre Kunden über Flyer zur Verwendung ihrer interaktiven App auffordern, um gezielt auf Sonderangebote hinzuweisen oder umgekehrt z. B. anlässlich von Festtagen Sonderbestellungen entgegennehmen zu können.

Die Möglichkeiten von Internet und Mobilfunk stoßen einen tiefgreifenden Wandel beim Einzelhandel an. Die Kunden erledigen einen immer größeren Anteil ihrer Einkäufe im Internet. Mehr als 34 Mio. Verbraucher in Deutschland kaufen bereits online ein, mit steigender Tendenz. Auch die Nutzungsfrequenz dieser Online-Shopper nimmt stetig zu. Nach Erhebungen des Instituts für Handelsforschung (IFH) kaufen bereits 60 Prozent der Online-Shopper mindestens einmal im Monat über das Internet ein. Nach IFH-Einschätzungen wurden 2012 beachtliche 31 Mrd. Euro Umsatz im Online-Handel generiert. Dies entspricht rund sieben Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes, Lebensmittel mit eingeschlossen. Die Zukunft des Handels liegt somit im Online-Geschäft. Angesichts der schnellen Marktpenetration von mobilen Alleskönnern wie Smartphones und Tablet-PCs etabliert sich mit Mobile Commerce ein eigenständiger Handelskanal, dem ein großes Potenzial prognostiziert wird. Darüber hinaus stellt Mobile Commerce auch eine intelligente und vielseitige Ergänzung zu E-Commerce und stationärem Handel dar.

Insbesondere Smartphones und die nutzerfreundlichen mobilen Apps entwickeln sich zunehmend zu Triebfedern für Mobile-Commerce-Anwendungen, die in hohem Maße gerade auch für KMU von Interesse sind. Entwickler- und Anwenderunternehmen sollten daher bei ihren Aktivitäten den Blick darauf richten, dass diese die (künftigen) Anforderungen des Marktes und der Kunden abbilden und folgende Funktionalitäten integrieren:

1. die Geo-Lokalisierung, welche dafür sorgt, dass Mobile Commerce nicht nur "always on", sondern situationsbezogen auch "always local" ist.

2. das Mobile Payment, das sowohl beim Online- als auch beim Offline-Handel zum Einsatz kommen wird.

3. das Mobile Shopping, das auf den beiden vorgenannten Funktionalitäten basiert und die einzelnen Prozesselemente des Einkaufens durchgehend miteinander verbindet.

Geo-Lokalisierung: "always on" wird erweitert durch "always local"
Dank der eingebauten Lokalisierungstechniken erkennen Smartphones und Tablet-PCs immer den Nutzerstandort und versetzen in Kombination mit intelligenten Apps den Verbraucher in die Lage, am Ort in einer Bedarfssituation die relevanten Informationen für eine Entscheidungsfindung zu erhalten. Der Standort zählt somit zu den wichtigsten Kontext-Merkmalen und sollte bei Mobile-Commerce-Diensten Berücksichtigung finden.

Entwickler und Anwender sollten sich bewusst sein, dass Positionsdaten zu den sensiblen personenbezogenen Daten zählen, vor allem in Verbindung mit der Identifizierungsnummer der Endgeräte. Es besteht die Möglichkeit, aus diesen Daten exakte Bewegungsprofile der Verbraucher zu erstellen. Die neuen Anwendungen eröffnen somit durchaus auch Möglichkeiten für eine missbräuchliche Verwendung, etwa zu Marketingzwecken.

Mobile Payment: Das Smartphone substituiert die Geldbörse
Nachdem sich im Internet in den letzten Jahren allmählich Bezahlfunktionen etabliert haben, ist auch der Weg für M-Payment für mobile Online-Geschäfte vorgezeichnet. Durch die technische Entwicklung jedoch erreicht die Option der Zahlung per Smartphone eine völlig neue Dimension, insbesondere hinsichtlich der Begleichung offener Rechnungen beim Handel vor Ort. Auf der Basis der NFC-Funktechnik bereiten sich derzeit mehrere konkurrierende M-Payment-Systeme auf ihren Markteintritt in Deutschland vor. Auch Rabatt-, Kunden- und Couponkarten, Nutzerausweise oder Zugangskarten können auf einem kryptografisch gesicherten NFC-Chip im Smartphone abgelegt werden.

Voraussetzung für einen Markterfolg von M-Payment sind die breite Penetration von NFC-fähigen Smartphones sowie eine hinreichende Akzeptanz bei Verbrauchern und Händlern. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob M-Payment eine kritische Masse an Nutzern erreichen und welches System sich durchsetzen wird. Dass das Smartphone schon in wenigen Jahren die Geldbörse ersetzen könnte, scheint kaum mehr visionär, sondern der vorgezeichnete Weg zu sein.

M-Shopping: Verbindung von analoger und digitaler Handelswelt
Auch wenn M-Shopping eine noch junge Entwicklung darstellt, schreitet sie – gemäß jüngsten Markterhebungen – mit steigender Smartphone-Penetration schnell voran. Obwohl die erste Smartphone-Generation durchaus noch Barrieren (Display-Größe, Ausgabe/Eingabe etc.) aufweist, nutzten 2013 bereits 4,3 Mio. Verbraucher in Deutschland mobile Endgeräte zum Einkauf von Waren oder Dienstleistungen. Mehr als 7,9 Mio. Menschen nutzen die Möglichkeiten des M-Shoppings, indem sie sich vor dem Kauf einer Ware über ein mobiles Endgerät informieren.

M-Shopping-Anwendungen erhöhen demnach die Transparenz auf beiden Marktseiten. Die Verbraucher erhalten bessere Informationen über Preise, Geschäfte, Hotels und Restaurants in ihrer Umgebung, über Sortimente, Sonderangebote und Produktverfügbarkeiten, über Inhaltsstoffe, Produktherkunft und vieles mehr. Gleichzeitig werden die Anbieter über M-Shopping-Apps, mobiles Couponing und weitere mobile Kundenbindungsinstrumente in die Lage versetzt, ein ganzes Bündel von wertvollen Informationen über die Präferenzen und Verhaltensweisen ihrer Kunden zu generieren, um diese gezielt adressieren zu können. M-Shopping wird vor diesem Hintergrund den Trend zur Personalisierung nachhaltig fördern.

Smarte Dienste für die Zukunft
Neben diesen eher als "klassisch" zu bezeichnenden Anwendungen bergen die wachsende Vielzahl von Sensoren und deren Implementierung in smarte Endgeräte sowohl für den privaten als auch für den professionellen Bereich zahlreiche innovative Möglichkeiten für einen App-Einsatz, die neue Geschäfts- und Dienstleistungsfelder eröffnen. So ist z. B. davon auszugehen, dass Wartungsfirmen künftig zunehmend per App die Fernsteuerung von Produktionsanlagen oder Gebäudefunktionalitäten (Smart Building) übernehmen, wobei Abweichungen in Echtzeit übermittelt oder automatisch Messwerte zur Überwachung eingespielt werden.

BildGerade kleinere Unternehmen können von mobilen Anwendungen profitieren © Mittelstand Digital/BMWi