BEST-PRACTICE FÜR eBUSINESS
Die Digitalisierungslücke schließen: Warum mittelständische Unternehmen bei der Transformation ihrer Prozesse Unterstützung brauchen
Ein Kommentar von Dr. Franz Büllingen, Leiter der Begleitforschung Mittelstand-Digital
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Das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Chancen der Digitalisierung von Unternehmensprozessen in Deutschland ist groß. Folgt man den Ergebnissen einer Repräsentativerhebung der Commerzbank aus dem Jahr 2015, dann glauben 85 Prozent der befragten Unternehmen, dass die Digitalisierung eine große Chance für den Industriestandort Deutschland darstellt. Rund 88 Prozent sehen einen engen Zusammenhang zwischen der Digitalisierung und dem Erfolg ihrer Unternehmen und mehr als 58 Prozent erwarten positive Beschäftigungseffekte.
Diese optimistischen Einschätzungen korrespondieren damit, dass bezogen auf alle Unternehmen mehr als 80 Prozent über eine eigene Website verfügen, bereits 78 Prozent E-Mail-Programme für die Geschäftskommunikation nutzen und rund 70 Prozent Software für die Buchhaltung einsetzen. Gleichwohl darf diese Bestandsaufnahme nicht den Blick dafür verstellen, dass es sich hierbei um vergleichsweise einfache IT-Anwendungen handelt. Geht es um den Einsatz komplexerer Anwendungen, so ist unzweifelhaft festzustellen, dass erheblicher Nachholbedarf besteht: Nur 29 Prozent der Unternehmen sind elektronisch mit ihren Zulieferern vernetzt, weniger als 28 Prozent setzen für ihr Projektmanagement Software ein und lediglich 23 Prozent steuern ihre logistischen Prozesse mit IT-Anwendungen. Gerade einmal 12 Prozent haben ihr Flottenmanagement digitalisiert.[2]
Insgesamt legen diese Zahlen nahe, dass bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Einsicht und Handeln auseinanderklaffen und eine erhebliche Umsetzungslücke bei der Digitalisierung der betrieblichen Prozesse existiert. Dies spiegelt sich auch in den Antworten der befragten Geschäftsführer und -inhaber wider: Nahezu zwei Drittel (63 Prozent) von ihnen sind davon überzeugt, dass der Mittelstand die Digitalisierung vernachlässigt und nur eine geringe Bereitschaft zu entsprechenden Investitionen verspürt. Die Sorge um die Datensicherheit (73 Prozent), die Ängste vor einer veränderten Unternehmenskultur (55 Prozent) sowie das fehlende Know-how der Mitarbeiter (45 Prozent) haben zur Folge, dass sie die digitale Transformation mit großer Zurückhaltung angehen.[3]
Aus der Perspektive der Nachhaltigkeit innovativer Prozesse erscheint als besonders dramatisch, dass diejenigen KMU, die sich zur Digitalisierung entschlossen haben, diese bislang nur auf einzelne Funktionen beschränken und auf diese Weise "Digitalisierungsinseln" entstehen. Eine übergreifende Digitalisierung der gesamten Prozesskette von der Beschaffung und dem Einkauf über die Officefunktionen, die Produktion, die Rechnungsstellung und den Vertrieb bis hin zum After-Sales-Service findet bislang nur in Ausnahmefällen statt. Dabei zeigen alle einschlägigen Untersuchungen, dass nur durch eine durchgängige Digitalisierung über alle Stufen der Wertschöpfung hinweg die vorhandenen Effizienzpotenziale in vollem Umfang ausgeschöpft werden können. Es ist daher keineswegs überraschend, dass Deutschland im Rahmen eines internationalen Vergleichs zum Stand der Digitalisierung nur den 6. Platz einnimmt.[4]
Betrachtet man das Informations- und Innovationsverhalten von KMU bei Prozessen der Digitalisierung, so stellt man durchgehend folgenden Zusammenhang fest: Wenn KMU niedrigschwellige, praxisnahe und insbesondere neutrale Informationen erhalten und es Ansprechpartner gibt, die sie durch die oft abschreckend wirkende Flut von Informationen z. B. hin zu anwenderorientierten Best-Practice-Beispielen lotsen, so steigt ihre Bereitschaft deutlich, sich intensiver und insbesondere entscheidungsfreudiger mit den Herausforderungen der Digitalisierung und der voranschreitenden digitalen Transformation zu befassen. Dies entspricht jedenfalls durchgehend den Erfahrungen der eBusiness-Lotsen, die von 2012 bis 2015 im Kontext des BMWi-Förderprogramms Mittelstand-Digital tätig waren.
Die bereits sichtbaren Auswirkungen der Megatrends "Internet der Dinge" und "Industrie 4.0" stellen den deutschen Mittelstand vor enorme Herausforderungen. In der Konsequenz sind die Unternehmen gefordert, ihre Investitionsbereitschaft und ihre Innovationsleistung deutlich zu steigern, ihre vorhandenen Geschäfts- und Produktprozesse zu verbessern und zu flexibilisieren, ihre Arbeitswelten den digitalen Gegebenheiten anzupassen und neue innovative Geschäftsfelder und -modelle zu entwickeln. Industrie 4.0 beinhaltet u. a. eine zunehmende Vernetzung und Integration von Geschäftsprozessen, Maschinen, Anlagen und IT-Systemen, eine stärkere Automatisierung und Arbeitsunterstützung sowie eine steigende Dienstleistungsorientierung mit neuen Geschäftsmodellen. Vor allem werden in der Industrie-4.0-Welt Produktions- und Kooperationsnetzwerke dominieren, die sich ad hoc oder dauerhaft zusammenschließen. Neue digitale Kommunikationsmöglichkeiten und Medien beeinflussen zudem das Verhalten der Kunden, Führungskräfte und Mitarbeiter.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass im Rahmen der BMWi-Initiative "Mittelstand 4.0 - Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse" vier "Mittelstand 4.0-Agenturen" gefördert werden, die Mittelstand und Handwerk bei der Digitalisierung, der Vernetzung und der Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen unterstützen sollen. Zwar gibt es - nicht zuletzt durch die Arbeit des eKompetenz-Netzwerks - eine Vielzahl von einschlägigen Publikationen, Checklisten, Leitfäden und Online-Tools, aber die Erfahrungen zeigen, dass die reine Bereitstellung von Materialien keine Garantie für eine hinreichende Perzeption und Umsetzung des Wissens ist, wenn die jeweiligen Entscheider nicht zusätzlich eine Möglichkeit für direkte persönliche Gespräche erhalten. Hinzu kommt, dass jede Form des IT-Wissens raschen Veränderungen unterworfen ist und daher ein kontinuierlicher Transfer auf den neuesten Stand erfolgen muss.
Mit den vier Agenturen hat das Wirtschaftsministerium diese benötigten Leuchttürme etabliert, die praxisnahes Wissen zu branchenübergreifenden Themen der Digitalisierung wie Cloud Computing oder Prozessorganisation für den Mittelstand bereitstellen und als Ansprechpartner vor Ort verfügbar sind. Sie zeichnet aus, dass sie allen Multiplikatoren gegenüber eine aktive Rolle einnehmen und damit für die Wichtigkeit der digitalen Transformation sensibilisieren. Der Mittelstand wird an die Hand genommen und auf dem Weg in die Digitalisierung begleitet.
[1] Commerzbank 2015, 15. Studie der Unternehmer Perspektiven.
[2] Bertelsmann Stiftung 2015.
[3] BDI/PWC-Mittelstandspanel, Ausgabe 1/2015.
[4] Vgl. Monitoring-Report, Wirtschaft DIGITAL 2015.
Weiterführende Informationen: